2014-04-01

Lee Wagstaff

Dreizehn lebensgroße Männerporträts hängen in den weißen Räumen der RISE Galerie. Der Hintergrund der Drucke ist weiß, so dass das Weiß der Blätter beinahe nahtlos in das weiß der Wände übergeht.
Die Bildnisse sind schwarzweiß. Über den Köpfen der Porträtierten stehen in bunten Lettern die Namen: John, Simon, James, Judas, Peter, James, Thaddaeus, Bartholomew, Phillip, Andrew, Matthew, Thomas und JHS für Jesus. Dreizehn Paar Augen schauen die Besucher direkt an. Alle Porträtierten scheinen einfach zu stehen und ihre tätowierten Oberkörper zu zeigen. Sie stehen und schauen die Betrachter an. Die Hände mal verschränkt vor dem Oberkörper, mal gestützt am Gurt. John genehmigt sich eine Zigarette. Judas zeigt mit einer Unschuldsgeste die Innenflächen seiner Hände und Jesus weist mit dem rechten Zeigefinger nach oben. Sie sind die einzigen, die den Duktus des einfachen Stehens verlassen.
Mit dieser Arbeit präsentiert Lee Wagstaff seine Interpretation eines beliebten religiösen Themas. Und wie einige seiner Vorgänger versucht er nicht, die kunsthistorisch tradierten Erscheinungsbilder der Apostel zu wiederholen, sondern besetzt die Rollen mit Menschen von heute. Damit wird der Betrachter aufgefordert, die gewohnten Sichtweisen oder gar eigene Vorurteile zu hinterfragen. Anderseits wird er auf die Frage gestoßen nach dem göttlichen Moment, nach dem Heiligen in jedem Einzelnen. Das wird besonders durch das Format der Arbeiten unterstrichen, die durch ihre Größe und Hängung einen Dialog auf gleicher Augenhöhe zwischen den Betrachtern und den "Heiligen" ermöglichen.
Die Tatsache, dass die von Lee Wagstaff porträtierten Männer tätowiert sind, wirft auch die Frage auf nach dem Verhältnis der christlichen Religion stellvertretend für die europäischen Gesellschaften zu dieser Art von Körperdekoration und somit nach Ächtung bzw. Unangepasstheit der Individuen sowohl in den ersten Jahrhunderten als auch heute.
Zwar ist die Tätowierung offiziell auf Drängen des Papstes Hadrian I. auf dem Konzil in Calcuth im Jahr 787n.Chr. verboten worden, aber die Gläubigen kannten und benutzten Tätowierungen lange vor und lange nach dem Verbot. Bis heute wird unter den Bibelinterpreten darüber diskutiert, dass Petrus, das erste Oberhaupt der Kirche tätowiert gewesen sein musste; ganz und gar nach dem Brauch der ersten Christen, die sich haben tätowieren lassen, um ihre Zugehörigkeit zu dem neuen Glauben kund zu tun. Die Kreuzritter und Pilger ins Heilige Land ließen sich das Kreuzzeichen in die Stirn brennen – so wie das auch auf dem Bildnis von John zu sehen ist - und Symbole ihrer Pilgerschaft in die Haut einstechen. Dieser Sitte kann man auch in späteren Jahrhunderten und vielerorts begegnen. Bis ins späte 19.Jh. erhielt sich der Brauch des Tätowierens anlässlich der Frühlingsfeste in Bosnien-Herzegowina innerhalb der dort ansässigen katholischen Bevölkerung. Die Tätowierstuben waren in direkter Nachbarschaft der Kirchen zu finden. Gleichzeitig aber waren Tätowierungen Zeichen der Ächtung, da sie dazu benutzt wurden, Sklaven und Verbrecher zu markieren. Diese Spannung scheint eine Konstante der europäischen Kulturen zu sein.
Als Modelle standen Lee Wagstaff befreundete und bekannte Tätowierer, so dass die Porträtreihe auch als eine kleine Schau von unterschiedlichen ästhetischen Positionen, die sich durch das Tattoo manifestieren, gesehen werden kann. Die gezeigten Tätowierungen nähren sich aus vielen Quellen. Bildliche und ornamentale Motive inspiriert durch Geometrie, Kaligrafie, traditionelle Motive Ozeaniens, Japans sowie Europas mischen sich zu eindrucksvollen Hautbildern. 

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