2014-03-01

Boned – der Tod und die Jungfrau von Alex Binnie

Es gibt Ereignisse, über die es sich lohnt, auch dann zu schreiben, wenn sie vergangen sind. In solchen Fällen legt sich ein Schleier aus Melancholie über die Worte und die Sätze fügen sich aneinander zu einem Fluss voller Traurigkeit über das Vermisste, ganz so, als ob man über die verloren gegangene Kindheit und ihre Unschuld sprechen würde.
In dem Fall, von dem ich erzählen möchte, wird die Melancholie noch dadurch potenziert, dass ich das eigentliche Ereignis verpasste und die dann folgende Versuche, das Versäumte nachzuholen, an der Geschäftigkeit des Alltags scheiterten. Am Ende war es ein sehr heißer Samstag gewesen, kurz vor dem Ende der Ausstellung, an dem ich die menschenleeren, in Stille gehüllten und zur meiner Erleichterung kühlen Räume der RISEBerlin betreten habe, um die Arbeiten von Alex Binnie zu sehen. Alex Binnie war am zweiten Mai in Berlin und zeigte zum ersten Mal in Deutschland eine Auswahl seiner Holzschnitte aus der Serie Boned  
Alex Binnie gehört zu den Tätowierern, die als die ersten begannen, für ihre Kunden maßgeschneiderte großformatige Tattoos zu entwickeln. Er gehört auch zu jener Generation, die mit einer künstlerischen Ausbildung im Background in den 80ern Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu der Tattooszene stießen und anfingen, die bis dahin geltenden Motiv- und Bildkonventionen durchzubrechen. Doch bevor er Tätowierer wurde und begann Tattoos zu stechen, war er ein medizinischer Illustrator, was in der Ausstellung durch zwei seiner Originalzeichnungen belegt wurde. Das Gros der Arbeiten von Alex Binnie waren aber Holzschnitte in der Art der japanischen Shunga.
Shunga sind sexuell eindeutig. Die westlichen Betrachter würden die meisten davon als pornographisch einstufen. Manchmal waren die Szenen mit einer Decke verhüllt und nur ein Liebespaar war erkennbar. Shunga Drucke und Bücher dienten im frühen Japan der sexuellen Stimulierung und der Sexualerziehung von jungen Frauen und Männern. Es gab sogar eine Tradition nach der die Braut eines daimyo - eines feudalen Herrschers von hohem Rang - eine Shunga Sammlung in ihrer Hochzeitsaussteuer mit in die Ehe einbringen sollte.
Fast auf allen Drucken Alex Binnies waren tätowierte Mädchen in der Art der Mangas oder klassischer Geishas zu sehen, die von einem Skelett umarmt und begattet werden. Ein Mädchen in Ekstase vom Tod geküsst, gehalten, gefesselt, penetriert... Ein fesselnder Mix aus fernöstlichen und europäischen Ornamenten, Mustern und Symbolen und der Tod erscheint nicht nur als Skelett oder Sensenmann, sondern auch als die herannahenden Hubschrauber oder Schmetterlinge, die den Mädchenkörpern entfliehen just so, als ob ganz nach der antiken Vorstellung die Seele in Form eines Falters in dem allerletzten Atemzug sich aus dem Körper befreien würde.
Mike Bertram, der Galerist,  und ich sprachen lange über die japanischen und europäischen ästhetischen Vorstellungen von der Körperlichkeit, über Gesten und Symbole. Wir sprachen darüber, was die RISE in Berlin zeigen möchte und dabei fiel das Schlüsselwort: „conditio humana“, das sich wie eine vergessene Haltung auf die Lippen drängte. Am Ende standen wir beide lange und nachdenklich vor einem der Drucke und betrachteten die Schmetterlinge, die den Körper eines vom Tode geküssten Mädchens umschwirrten. Jeder dieser Wesen war ein wenig anders. Viele davon zerbrochen und verstümmelt. Viele Seelen, viele Tode, alle ähnlich und doch nicht gleich...

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